Ape Rites – «Age Of The Ape»
Musikbegeisterte sollten bei der laufenden Fussballeuropameisterschaft unbedingt die Italiener anfeuern. Warum? Weil die ganz einfach die beste Siegeshymne haben. «Autocorso» von den Ape Rites dürfte in der Heimat der Himmelblauen zwar niemand kennen, aber bei uns, wo die Band herkommt, hat das punkige Stück schon etliche Studentenpartys an den Rand der Eskalation gebracht. Ältere Semester erinnern sich nur zu gut an diese kindische Ausgelassenheit: «Tutti suonano il claxon. Siamo fans e siamo matti», wird da so leidenschaftlich gebrüllt, dass sogleich alles mitgrölt, was eine Stimme hat. Jetzt, zwei Jahre nach dem Debüt, liefert das Trio endlich neuen Stoff. Und «Age of the Ape», so heisst die neue Platte, macht genau so viel Spass wie ihr Vorgänger. Noch immer ist der Musik anzuhören, dass sie direkt aus der Garage kommt und mit viel Vergnügen eingespielt wurde. Munter gehts denn auch los auf dem Titelstück, dann lässt das köstlich ironische «Nunchaku Gang» ein erstes Mal Hochstimmung aufkommen. Synthesizer haben bislang nicht zum Instrumentarium der Band gehört, indem die Orgel dem stampfenden Groove aber noch zusätzlichen Schwung verleiht, fügt sie sich bestens in die Komposition ein. Da kommt die Verschnaufpause bei Nummer vier schon ziemlich gelegen. Die währt mit der wunderbar verträumten Ballade «Sunshine Boulevard» allerdings nur dreieinhalb Minuten, bevor die Gruppe auf der B-Seite schliesslich zu neuer Grösse aufspielt. Da ist etwa das rätoromanische «Perversa Glieud». Leider ist nicht auszumachen, worum es in dem Text geht, doch die Surfrock-Melodie reizt die Fantasie mindestens sehr wie der Titel. Mit dem simplen, zweiminütigen Mitsingsong «Laser Tiger» präsentieren die Ape Rites sodann einen würdigen Nachfolger für «Autocorso», ihren bisher grössten Hit. Die Riffs sind eingängig, die Bässe knattern so, dass einem die Hosen flattern. Dass es auf «She’s My Witch» vor dem Schlussspurt noch ganz kurz ganz sexy zu und her geht, passt zu diesem dreiteiligen Höhepunkt, nun ja, wie eben das Runde ins Eckige passt. Wenn die Azzurri mit halb so viel Elan auftreten wie ihre Zürcher Bewunderer, dann steht dem nächsten Hupkonzert also nichts im Wege.
Amyl and The Sniffers – «Comfort To Me»
Australien hat eine neue Lieblingsband. Sie kommt aus Melbourne und hat sich nach einer Droge benannt, deren Nebenwirkungen Herzrasen, Erbrechen und Sehstörungen sind. Ihre erste EP hiess übersetzt «hüh», als hätten die Musiker eine Horde wilder Rösser vor sich herzutreiben. Und tatsächlich waren die vier Punksongs auf «Giddy Up» ziemlich zackig gehalten. Und jetzt hat das Quartett eine neue Platte am Start. «Comfort To me» heisst das Ding. Mit Komfort ist es auf diesen 13 Stücken aber nicht weit her. Sie dauern selten mehr als zweieinhalb Minuten und sind ausnahmslos in dem ruppigen Stil gehalten, der Amy Taylor und ihren Schnüfflern vor zwei Jahren den australischen Musikpreis eingetragen hat. Dieser Sound erinnert deutlich an die Sex Pistols, wobei sich die Sniffers als erheblich bessere Instrumentalisten herausstellen als ihre Vorbilder aus Europa. So sind die Aufnahmen nicht nur präzise eingespielt, sondern sogar verhältnismässig abwechslungsreich ausgefallen. Zwischen knatternden Basslinien und hartem Eins-Zwei-Schlagzeug gibt es zwischendurch sogar so etwas wie Gitarrensoli, etwa auf «Hertz» oder «Capital». Der Spass an diesem Album ist somit derselbe wie mit der Droge. Die Risiken und Nebenwirkungen ähneln sich freilich auch.
Black Keys – «Delta Kream»
«When it comes down to the blues, I’m gonna show you how to play the blues. Now you just sit there and watch me.» Diese Worte sprach der grosse Howlin’ Wolf 1969 auf einer Aufnahme von seinem berühmtesten Lied «Backdoor Man». Aber sie könnten ebenso gut als Motto in den Liner Notes zum neuen Album der Black Keys stehen. Denn auf «Delta Kream» machen Gitarrist Dan Auerbach und Schlagzeuger Patrick Carney einen Schnitt: Sie wenden sich von ihrem staubigen Lo-Fi-Rock ab und widmen sich nur noch dem Blues. Elf Stücke haben sie für die Scheibe eingespielt, allesamt Standards von Legenden wie John Lee Hooker, David Kimborough Jr. und Mississippi Fred Mc Dowell. Wie das klingt: Fantastisch. Zwar stellen sich die Black Keys erwartungsgemäss nicht gerade als die subtilsten Interpreten dieses amerikanischen Liedguts heraus, der kernige Sound, den man von den älteren Aufnahmen kennt, bleibt also durchaus erhalten. Aber nach fast 20 Jahren Haudrauf- und Vollepulle-Rock ist es eine willkommene Abwechslung, wenn das Duo sich nun an etwas ruhigeren und melodiöseren Kompositionen versucht und damit exemplarisch vorführt, wie man den Blues zeitgemäss vorträgt. Da hätte sich sogar Howlin’ Wolf gern dazugesetzt.
black midi – «Cavalcade»
Komplizierter, schneller und viel, viel lauter als der Rest – das war die Essenz des Debüt-Albums, mit dem black midi vor zwei Jahren zu den neuen Helden der Gitarrenmusik wurden. Es dröhnte, toste und krachte auf der Platte, und die Musikpresse in aller Welt hob zu Lobeshymnen an. Jetzt meldet sich das Quartett zurück und knüpft im Eröffnungsstück der neuen Scheibe sogleich an alte Stärken an: Schrill und hart geht es auf «John L» zu und her. Dass «Cavalcade» aber keine blosse Fortsetzung des Erstlings sein will, macht das darauffolgende «Marlene Dietrich» klar. Hier zupft Geordie Greep an einer akustischen Gitarre und beweist, dass er seine Texte nicht nur herunterleiern, sondern tatsächlich singen kann. Auch nach der Ode an die Schauspielerin, etwa auf «Diamond Stuff», wird deutlich, dass die Briten, die sich eine Weile lang mit Vorliebe in Rennfahrer-Overalls zeigten, einen Gang heruntergeschaltet haben. Und das tut ihrem Sound sehr gut. Zwar sind die Kompositionen nicht weniger sperrig als zuvor, doch die ruhigen Passagen haben deutlich mehr Raum bekommen. Das macht die Stücke atmosphärischer und abwechslungsreicher. So sind einige – wer hätte das gedacht – wirklich schöne Melodien entstanden. Wo es aber knallen soll, da kommt das dafür umso besser zur Geltung. Süperb!
Greentea Peng – «Greenzone 108»
Peng. Der Künstlername dieser jungen Frau ist Programm: Vor einem Jahr erschien ihre erste Platte, und jetzt ist «Man Made» auf Vinyl schon so gesucht (und teuer) wie eine Rarität aus vergessenen Zeiten. Wenn es um Geschmacksfragen geht, kann man den Schallplattensammlern zwar nicht immer trauen. Dass sie sich auf die Londoner Sängerin Greentea Peng eingeschossen haben, hat indes gute Gründe. Mit Reminiszenzen an Dub, Hip-Hop und Soul kreiert die Londoner Sängerin einen Stil, der auch schon (und zu Recht) als neuer Trip-Hop beschrieben wurde. Diese Musik schimmert dunkel wie Bernstein, schmeckt süss wie Honig und macht absolut süchtig. Da kommt das zweite Album «Greenzone 108» den Entzugserscheinungen gerade noch zuvor. Und der Stoff hat Qualität: Tiefpunkte gibt es auf dieser Scheibe keine, die zehn Songs fügen sich zu einem angenehmen, 36-minütigen Trip zusammen. Mit Stücken wie «Look To Him», «Our Father» und «Top Steppa» ist dieser zweite Wurf vielleicht sogar noch besser als das Debüt. Rar sind die neuen Sachen aber ebenso wie die älteren. Tonträger sind jedenfalls weit und breit keine zu bekommen.
King Hannah – «Tell Me Your Mind And I’ll Tell You Mine»
Angeblich wollte Craig Whittle diese Band mit Hannah Craig schon gründen, bevor er sie überhaupt kannte. Und dann, wer will da schon nicht ans Schicksal glauben, arbeiteten die zwei plötzlich in derselben Bar in Liverpool, fanden zueinander, und die Band harmonierte perfekt. Nun ja, nur der letzte dieser Story ist wirklich überprüfbar. Im Mai 2019 erschien von King Hannah die erste Single, und der atmosphärische Gitarrenexzess «Crème Brûlée» klang genau so bitter, aber auch genau so süss, wie sein Titel das vermuten lässt. Und er hinterliess genau dieselbe Lust auf Mehr wie alle Köstlichkeiten. Letztes Jahr im November stellte das Duo mit «Tell Me Your Mind and I’ll Tell You Mine» dann eine EP vor, auf der die sperrigen Gitarrenmodulationen zwar ordentlich Auslauf bekommen, aber immer wieder von groovigen Passagen komplementiert werden. Beispielhaft zu hören ist das auf dem grossartigen Song «Meal Deal», der fast 8 Minuten lang zwischen abgefahrener Soundcollage und melancholischer Indierock-Ballade changiert, um dann in das schwungvolle «Bill Tench» überzugehen. Diese Abwechslung macht die Scheibe zu einem grossen Vergnügen, von dem am Ende vor allem eines bleibt: Lust auf noch mehr.
Tommy Genesis – «Goldilocks X»
Während sich viele ihrer männlichen Konkurrenten gegenseitig in ihrem Machismo zu überbieten versuchen, verkündet Tommy Genesis: «If a man is a man, then a woman is a god». Das scheint das Konzept des dritten Albums der Kanadierin zu sein: alle gängigen Stereotypen über Hip Hop in ihr Gegenteil zu verkehren. Was bei dieser Herangehensweise herauskommt, ist streckenweise natürlich derselbe Unsinn wie das, was jene von sich geben, die sich «Gangsta-Rapper» nennen – einfach unter geänderten Vorzeichen. Immer wieder gelingt es Genesis Yasmine Mohanraj damit aber auch, Geschlechterverhältnisse und die Art und Weise, wie über solche gesprochen wird, infrage zu stellen. Wenn in «Kamikaze» beispielsweise der «big poppa» dazu aufgefordert wird, seinen «dicken Hintern» zu schütteln, ist es geradezu zum Lachen. Mit dem Big Poppa kann schliesslich niemand anderes als Notorious B.I.G. gemeint sein, der sich nur allzu gut in der Rolle dessen gefallen hat, der Frauen sexuelle Anweisungen erteilt. Besser als ein solches könnte ein Album also kaum in unsere Zeit passen. Und mit den lustvollen Elektrobeats und der lasziv gehauchten Stimme ist «Goldilocks X» noch zudem ein sehr kurzweilige Sache. Wobei sich «kurzweilig» auch auf die Laufzeit von nicht einmal einer halben Stunde bezieht.
Erschienen zwischen 2019 und 2022. © Musikzeitung Loop 2019–2022.